Auch wenn in Wissenschaftskreisen die Diskussionen darüber, ob das Anthropozän ein neues geologisches Zeitalter bildet, noch immer andauern, gibt es doch kaum noch Zweifel darüber, dass menschliches Handeln ursächlich für Artensterben, Klimawandel und andere gravierende Umweltprobleme verantwortlich zeichnet, was sich früher oder später wiederum auf unsere Lebensqualität auswirken wird. Auch in der Kinder- und Jugendliteratur, die Berlin als Schauplatz der Handlung wählt, wird Stellung zu diesen Problemen bezogen.
Schreiben im Anthropozän, so meine These, findet als eine Form prophetischer Zeugenschaft statt, in der mit dem gegenwärtigen Wissen über zukünftige veränderte Lebensbedingungen erzählt wird. Berlin als Hauptstadt, als Symbol der Wiedervereinigung und als prosperierendes Zentrum Deutschlands kommt dabei eine Symbolfunktion in den Texten zu. Die Stadt ist ein stummer Zeuge der Veränderungen und zugleich aktiv davon betroffen. In Daniel Höras (2011) Das Ende der Welt beispielsweise müssen die Menschen ihr Leben nach der „Großen Katastrophe“ neu ausrichten. Dennoch halten sie an Berlin als Hauptstadt und Wohnort fest.
Aufbauend auf theoretischen Ansätzen von Sibylle Krämer zu Zeugenschaft, Thomas Hylland Eriksen zu Städten im Anthropozän und Fredrick Buell, der sich dem Schreiben im Anthropozän gewidmet hat, wird in diesem Beitrag die Wechselbeziehung Natur und Mensch im Berliner Stadtbild anhand von Höras Roman untersucht.
Folgende Fragen stehen im Zentrum: Wie wird das urbane Leben mit Naturbeschreibungen verknüpft? Welche städtischen Räume verweisen auf das enge Verhältnis, aber auch auf die Dysbalance zwischen Mensch und Natur? Werden die Umweltzerstörungen eher mit einem nostalgischen Verlustgefühl beschrieben und/oder mahnen sie zivilisations- und gesellschaftskritisches Handeln an?
Um die Zeugenschaft Berlins mit Blick auf Umweltzerstörungen näher bestimmen zu können und um zu hinterfragen, ob es ein andersgeartetes Schreiben im Anthropozän gibt, wird zudem ein diachroner Vergleich mit Benno Pludras (1980) Insel der Schwäne angestrebt. Bereits in Pludras Roman wird der Themenkreis urbaner Lebensraum, Umweltzerstörung, soziale Auswirkungen am Schauplatz Berlin diskutiert.